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Ein Beitrag von Maren Behrendt

Extrem laut und unglaublich nah – in Wohnzimmeratmosphäre

Wer an Theater denkt, der denkt vermutlich an pompöse Säle, samtige Vorhänge, eine große Bühne mit faszinierenden Bühnenbildern und ein Flair, das seinesgleichen sucht. Was aber, wenn all das gar nicht da ist? Eine Antwort auf diese Frage fand ich bei der Premiere von „Extrem laut und unglaublich nah“ in der Casa der Theater und Philharmonie Essen (TUP).

Darum geht’s im Stück

Am 4. März 2022 feierte das Stück „Extrem laut und unglaublich nah“ nach dem gleichnamigen Roman von Jonathan Safran Foer seine Premiere. In der Bühnenfassung von Regisseur Thomas Ladwig brachte das Ensemble, zu dem neben Trixi Strobel in der Hauptrolle auch Rezo Tschchikwischwili, Janina Sachau, Olga Prokot, Jan Pröhl und Stefan Diekmann gehören, die Geschichte des neunjährigen Oskar Schell auf die Bühne.

Oskar hat einen Verlust zu verarbeiten: den Tod seines Vaters. Er verlor ihn bei dem Angriff auf das World Trade Center am 11. September 2001. Vor seinem Tod rief Oskars Vater mehrmals zu Hause an, doch Oskar stand so sehr neben sich, dass er nicht abnehmen konnte. Erzählt hat er das niemandem – nicht einmal seiner Mutter. Als er in den Hinterlassenschaften seines Vaters eines Tages einen Briefumschlag mit einem Schlüssel findet, macht er sich auf die Suche nach dem passenden Schloss. Der einzige Hinweis, den er hat, ist der Name „Black“ auf dem Briefumschlag. Also sucht er nach und nach die New Yorker mit dem Namen „Black“ auf – und hofft, herauszufinden, was der oder die eine „Black“ über seinen Vater weiß.

Wohnzimmeratmosphäre in der Casa

Auf meinem Sitzplatz angekommen, lässt sich das Umfeld leicht beschreiben: Der Raum bietet nach rechts und links viel Platz, doch der Abstand zur Bühne (in diesem Fall eine Fläche auf dem Fußboden) ist – selbst aus der letzten Reihe – gering. Boden und Wände sind schwarz. Das Bühnenbild gerät automatisch in den Fokus: elf hölzerne Möbelstücke, acht Tischleuchten, zwei Stühle, zwei Sessel, ein Sofa, ein Telefon und Zettel, die von der Decke baumeln. Mehr nicht.

In der Eingangsszene liegt Trixi Strobel (Oskar) auf dem Boden und blickt an die Zimmerdecke. Schon in dem Moment bekam das „unglaublich nah“ aus dem Titel des Stücks eine weitere Bedeutung, die weit über den Inhalt hinausging – denn es fühlte sich im Grunde an wie ein Wohnzimmer, in dem man sich gemeinsam mit den Schauspieler*innen und dem eher kleinen Publikum zu der Aufführung getroffen hatte.

Das Bühnenbild in der Casa mit Janina Sachau (Großmutter) und Olga Prokot (Anna).

 

Eine einzige Kulisse

Das Team rund um Regisseur Thomas Ladwig hat es mit nur einer Kulisse geschafft, die Geschichte von Oskar zu erzählen. Mal das Wohnzimmer der Schells, mal das Wohnzimmer des Mr. Black, mal ein Friedhof – durch kleinste Details wurde aus der Kulisse das Beste für jede der Szenen herausgeholt. Die in das Bühnenbild integrierten Tischleuchten wurden auf geschickte Weise genutzt, um den Blick des Publikums innerhalb der Kulisse zu lenken. Zwischendurch abgespielte Tonaufnahmen zeigten, was zuvor geschah, als Oskars Vater kurz vor seinem Tod zu Hause anrief. Das Publikum allein mit diesen Mitteln durch Raum und Zeit der Geschichte zu lenken, ist faszinierend.

Ein ausgezeichnetes Ensemble

Was natürlich auch nicht unerwähnt bleiben darf, ist das Ensemble. Ob es Olga Prokot (Oskars Mutter; links im Foto) ist, die so viel Gefühl in ihre Stimme legt, dass einem ganz warm ums Herz wird oder Trixi Strobel (Oskar; rechts im Foto), der man den kleinen, trauernden Jungen in den zahlreichen Gänsehautmomenten abkauft – der häufig direkt ins Publikum gerichtete Blick macht die Emotionen der Figuren noch viel zugänglicher. Dass das am Abend der Premiere vor allem in Kombination mit der Nähe zwischen Ensemble und Publikum nicht nur mich fasziniert hat, zeigt der Artikel von Frank Blum im Stadtspiegel.

Mein persönliches Highlight aber waren Trixi Strobel (Oskar) und Jan Pröhl (Mr. Black) im Duo. Jan Pröhl spielt den alten Mr. Black so authentisch, dass man unweigerlich in ein Schmunzeln verfällt und an seine eigenen Großeltern denkt. In meiner Lieblingsszene stehen die beiden dem Publikum zugewandt und berichten von ihren Besuchen bei verschiedenen „Blacks“. Im Wechsel ahmen sie die verschiedensten Charaktere nach und bleiben dabei ihren eigenen Figuren beeindruckend treu. Spätestens da hatten sie mich – und aus dem Schmunzeln wurde ein Lachen!

Trixi Strobel (Oskar) und Jan Pröhl (Mr. Black) auf der Suche nach dem richtigen „Black“.

 

Enttäuschendes Ende? So gar nicht!

Zuletzt führte der Schlüssel Oskar zwar nicht zu dem, was er zunächst erwartet hatte, dafür aber zu etwas anderem: dem Ende des Schweigens innerhalb der Familie. Was mich persönlich aber mindestens so sehr berührt hat wie Oskars Geschichte, ist Trixi Strobel. In ihrer Rolle als Oskar Schell beendete sie die Aufführung alleine auf der Bühne genauso, wie sie sie auch begonnen hatte – nur, dass sich ihre emotionalen Worte nun endgültiger anfühlten. Dass Trixi Strobel sich nach Ende des Stücks noch eine ganze Weile Tränen aus dem Gesicht wischte, hat mich sehr berührt; weil sie ihre Rolle offenbar so sehr gefühlt hat. Dass das Stück insgesamt sehr gut angekommen sein muss, zeigte sich an dem sehr langanhaltenden Applaus, der die Schauspieler*innen immer und immer wieder auf die Bühne lockte.

Was also ist Theater ohne pompösen Saal & samtige Vorhänge?

Um auf meine einleitende Frage nun die passende Antwort zu formulieren: Wenn das typische Drumherum eines Theaters gar nicht da ist, dann wird für mein Empfinden besonders deutlich, dass Menschen im Theater etwas für andere Menschen inszenieren, um das zu verkörpern, was die Menschheit bewegt. In diesem Falle ein Gefühl, um das im Leben früher oder später wohl niemand herumkommt: den Verlust. Den Besuch von „Extrem laut und unglaublich nah“ in der Casa kann ich nur wärmstens empfehlen.

Foto: Die Spielstätte „Casa“ ist in der Theaterpassage neben dem Grillo-Theater in Essen zu finden.


Extrem laut und unglaublich nah

Theater und Philharmonie Essen

nach dem Roman von Jonathan Safran Foer
Aus dem amerikanischen Englisch von Henning Ahrens
Bühnenfassung von Thomas Ladwig

Informationen, Termine und Tickets gibt es hier.


Der Artikel „Extrem laut und unglaublich nah – in Wohnzimmeratmosphäre“ wurde von unserer RuhrBühnen-Bloggerin Maren Behrendt verfasst. 

Weitere Artikel, mehr zum Blog, dem Projekt und unseren RuhrBühnen-Blogger*innen gibt es hier.

 

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