Ein Musiktheaterexperiment in Texten von Franz Kafka und Musik von Claudio Monteverdi, Arnold Schönberg, Anton Webern, Karlheinz Stockhausen, Charlotte Bray und John Coltrane nach einem Konzept von Francis Hüsers
Musik:
Claudio Monteverdi Sonata sopra Sancta Maria ora pro nobis aus: Vespro della Beata Vergine (1610)
Charlotte Bray Like a Drum In the Margins aus dem Liederzyklus Crossing Faultlines (2021) (Text: Nicki Jackowska)
Arnold Schönberg Stück d-Moll für Violine und Klavier (1893/94)
Anton Webern Vier Stücke für Violine und Klavier op. 7 (1910)
Arnold Schönberg Fantasie für Violine und Klavier op. 47 (1949)
Karlheinz Stockhausen Zyklus für einen Schlagzeuger (Werk Nr. 9) (1959)
Charlotte Bray Voyage für Saxophonquartett (2017)
John Coltrane Olé (1961)
„Es war, als sollte die Scham ihn überleben“ – so endet Franz Kafkas Roman Der Prozess mit einem Satz über den Helden Josef K., der eine neue Tür zum Verständnis von Kafkas Werk aufstößt, bezieht man ihn auf den Autor selbst. Dessen Ruhm als einer der Größten der deutschsprachigen Literatur der Moderne macht es heute beinahe unmöglich, irgendeinen Grund für Scham in seinen Texten zu entdecken. Mittlerweile wird ja auch Kafkas Bitte an seinen Freund Max Brod, alle unveröffentlichten Texte nach seinem Tod zu verbrennen, einhellig als Ausdruck des exakt gegenteiligen Wunsches interpretiert. Brod habe uns also Kafkas Werk im vollen Einverständnis des Autors zugänglich gemacht. Ist die häufige Rede von Scham und Schuld bei Kafka also nur ironisches Spiel? Verdeckt sie womöglich eine Art Hochmut, den Kafka empfunden haben mag angesichts der eigenen (genialen) literarischen Produktion? Schließlich ist auch im Prozess in den drei Begegnungen von Josef K. mit ihn anziehenden Frauen sowohl Hochmut wie Schuld und Scham spürbar. Die in Kafkas berühmtem (quasi autobiographischem) Brief an den Vater reflektierte Heiratsverweigerung könnte wie die Thematisierung von Scham in den Erzähltexten als bewusst gewählte Selbsterniedrigung verstanden werden. Und die war womöglich nötig, um diese ungeheuerlichen Texte überhaupt schreiben zu können.
Kafkas Erzählung In der Strafkolonie berichtet von einer überaus brutalen, so perfide wie absurden Hinrichtungsmethode, bei der ein Verurteilter stundenlang blutige Nadelstiche auf seinem Körper erleiden muss, die ihm vorgeblich sein in Wahrheit unlesbares Urteil zum Lesen mit der eigenen Haut auf den nackten Körper schreiben, bis er schließlich aufgespießt wird. Und der unvollendete Text Der Bau lädt uns zur Identifikation mit einem Ich ein, das offenbar als Tier in einem labyrinthischen Gangsystem unter der Erde lebt und aus Angst vor der Begegnung mit anderen mehr und mehr einem einsamen Wahn verfällt.
Die mit den Ausschnitten von Kafkas Texten bei diesem Theaterexperiment zusammengebrachte Kammermusik stammt zum Teil aus seiner Lebenszeit, so etwa von Anton Webern und bedingt auch von Arnold Schönberg, reicht aber hinein in unsere Gegenwart, indem zwei Lieder und das Saxophon-Quartett von Charlotte Bray erklingen sowie quasi als historische Brücke zwischen klassischer Moderne und musikalischer Gegenwart das Schlagzeug-Solo-Stück Zyklus von Karlheinz Stockhausen aus dem Jahre 1959. So verdeutlicht, kommentiert oder kontrastiert ‚absolute‘, nicht für die Bühne geschriebene Musik Situationen, Gefühle und Stimmungen aus den Kafka-Texten.
Einen versöhnlichen Ausklang findet unser Theaterexperiment dann aber in jedem Fall wie immer im Jazz, diesmal in einem Stück des Saxophonisten John Coltrane mit Band: Olé.
Fotos: Jörg Landsberg;
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