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Mother you had me, but I never had you 

Vor 25 Jahren brachte Christian Kracht seinen Debütroman „Faserland“ heraus. Letztes Jahr veröffentlichte er die Fortsetzung „Eurotrash“, die dort beginnt, wo „Faserland“ endet: in Zürich. Die Stadt ist Ausgangspunkt für einen außergewöhnlichen Road Trip von Mutter und Sohn, der nicht nur verkorkste Kindheitserinnerung, sondern sorgsam verstaute Traumata aufleben lässt. Die Uraufführungsinszenierung von Jan Bosse (Schaubühne Berlin) feierte bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen Premiere im Pott. RuhrBühnen-Bloggerin Simone Saftig war dabei und berichtet. 

Eine Bühne voller Scherben, Pillen, Geld, zertrampelten Blumen und zerplatzen Träumen. Das ist, was am Ende dieses Abends übrig bleibt und sinnbildlich für jenen Kampf steht, der schon seit der Antike auf der Bühne ausgetragen wird und in dieser Inszenierung in zwischenmenschliche Abgründe blicken lässt: Der Kampf zwischen Mutter und Sohn. 

Doch auf Anfang: Ein tristes Setting, eine Betonwand, davor ein Stuhl, ein Blumenstrauß und eine Papiertüte, in der Mitte zwei leere Wodkaflaschen. Ein Mann in Jeans, Parker und Wollmütze (Joachim Meyerhoff) erzählt: Er müsse zu seiner Mutter nach Zürich, er, der vor einem Vierteljahrhundert „Faserland“ geschrieben habe. Spricht da Christian Kracht? Wohl eher: die autofiktionale Version des Schriftstellers. Damit Autor und Figur nicht verschwimmen, zieht er sich um. Erzählt uns von seiner Mutter, während er Jeans und Parker gegen einen babyblauen Anzug austauscht, der vor der Betonwand fast leuchtet.

Eine Reise zu den eigenen Abgründen

Kracht entwirft in seinem Text eine Mutter-Kind-Beziehung, die sich jeglicher Empathie entsagt und die Identifikation mit den Figuren erschwert. So malt Christian im Plauderton ein Bild von seiner verwahrlosten Mutter: fettiger Pferdeschwanz, krustige Schürfwunden, massives Alkoholproblem, Schlafmittelabhängigkeit.
Lautlos, winzig, im zitronengelben Kostüm betritt diese (Angela Winkler) wenig später die Bühne und der Kampf beginnt: Er wirft ihr ihre Verwahrlosung vor, sie ihm mangelnde Fürsorge. Der Teufelskreis ist perfekt: Ist er so egoistisch, weil sie ihn dazu gemacht hat oder sie so verbittert, weil er sich nicht kümmert? Auch Christian bemerkt die Ausweglosigkeit dieser verkorksten Situation und beschließt die Mutter einzuladen. Eine Reise ins Berner Oberland soll die verfahrene Beziehung der beiden retten – eine Reise in seine Kindheit und das Innerste der Figuren.

Das Taxi aus dem Roman wird in Bosses Inszenierung zum Segelboot. Eine Verfremdung, die funktioniert: Das Boot wird nicht nur zum Fortbewegungsmittel, zu Taxi, Gondel und Flugzeug, sondern transformiert sich gleichermaßen in eine Herberge, ein Restaurant oder Christians Jugendzimmer. Dieser wird selbst zum Bühnenbauer und ackert sich an dem Boot ab, dreht es, beleuchtet es, baut es um und hisst die Segel. Die fahrige Figur wird durch die statische Mutter kontrastiert, die ihre Boshaftigkeit eher durch Worte als durch Gesten artikuliert. Mutter und Sohn sparen nicht an gegenseitigen Beschuldigungen. Sie sei eine schlechte Mutter, er ein schlechter Autor. Sie begießt ihren Groll mit Wodka, er mit Selbstmitleid. 

Doch können die beiden wirklich nicht zueinanderfinden? Beim gemeinsamen Forellenessen wie in alten Zeiten verspürt Christian schließlich Mitleid für diese schroffe Frau, die sich für ihr Auftreten in der Öffentlichkeit schämt. Sie mag es, wenn er ihr Geschichten erzählt. Kurze Momente der Zusammenkunft zwischen all der aufgestauten Wut.

Verdrängte Traumata und verehrte Pop-Ikonen

Dass diese Wut Resultat der Vergangenheit ist, wird schließlich in einem der wenigen stillen Momente dieses Abends von Christian aufgegriffen: Was hat seine Mutter wohl in ihrem Leben gesehen? Zerschundene Kriegsopfer? Zerbombte Städte? Leid und Tod? Als Elfjährige wurde sie vergewaltigt, ihr SS-Vater wollte davon nichts wissen. Diese Frau ist voller Wunden. Transgenerationale Wunden, die sich bis auf Christian übertragen: Auch er wurde im kanadischen Internat vergewaltigt. Beide teilen ein tiefes Trauma, das sie in ihrer Feindseligkeit schmerzlich verbindet, das sie unter einem Mantel des Schweigens verstecken und für das sie krampfhaft Ventile suchen. So verwandelt sich Christian in seinem Jugendzimmer im Innern des Schiffs zu David Bowie. Er will eine neue Identität schaffen, seine Wunden unter Schminke und Kostüm verstecken. Während Bowie aus einem alten Radio leise singt, bewacht ihn die Mutter vom Deck des Schiffs aus. Sie weiß genau, was er gerade denkt. Es gibt es also doch: Das innige Band zwischen Mutter und Kind.  

 

 

Zwischen Kotbeutelkomik und Slapstick-Einlagen

In all dieser Komplexität liegen Tragik und Komik nah beieinander. So entstehen die einzig fürsorglichen Momente dann, wenn Christian den Stomabeutel ihres künstlichen Darmausgangs wechselt. Was ihn zunächst anekelt, wird schließlich zur Routine. Dass ein Kotbeutel zum wichtigsten Motiv der Beziehung wird, trägt wesentlich zur Komik des Stückes bei. Die verstreuten Slapstick-Einlagen à la Dinner for One hätte es dafür nicht gebraucht. Als Christian etwa betont umständlich das Boot besteigt, verleiht dies dem Stück einen unnötig albernen Anstrich.

Der zweieinhalbstündige gleichermaßen bedrückende wie belustigende Abend wird vor allem durch die herausragende schauspielerische Leistung von Meyerhoff und Winkler getragen, die dem dichten Prosatext so viel Leben einhauchen, dass er trotz seiner Längen auch auf der Bühne gut funktioniert.


Ruhrfestspiele Recklinghausen

Eurotrash
nach dem Roman von Christian Kracht | in einer Fassung von Jan Bosse und Bettina Ehrlich
Regie: Jan Bosse
Schaubühne am Lehniner Platz


Der Beitrag „Mother you had me, but I never had you“ ist von unserer RuhrBühnen-Bloggerin Simone Saftig verfasst worden. 

Mehr über den Blog, das Projekt und unsere RuhrBühnen-Blogger*innen gibt es hier.

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