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Party like the Amish

Mit der internationalen Performance „Respublika“ unter der Regie von Łukasz Twarkowski
verwandelt sich die Jahrhunderthalle in Bochum zur aufwendig gestalteten Kulisse eines mehrstündigen Theater-Raves. Unsere RuhrBühnen-Bloggerin Simone Saftig war im Rahmen der Ruhrtriennale bei der Premiere in Bochum (DE Münchner Kammerspiele) und wurde Teil einer theatralen Utopie.

Die Atmosphäre vor Beginn dieser Performance ist irgendwie anders: neugieriger, nervöser. Kein Wunder, denn selbst wer die Ankündigung von „Respublika“ mit aller Sorgfalt gelesen hat, weiß doch nicht genau, was es zu erwarten gibt. Ein Kunstkollektiv auf der Suche nach einer Utopie. Ein gemeinschaftliches Experiment. Ein Rave. Mehrere Räume. Eine Sauna. Sechs Stunden. Bevor wir die Jahrhunderthalle in Bochum betreten, soll ein Lageplan für Orientierung sorgen. Auf der Vorderseite ist eine artifizielle Landschaft abgebildet, der Nährboden von „Respublika“. Auf der Rückseite genauere Erklärungen und Instruktionen:
„Der Veranstaltungsraum, den Sie nun betreten werden, enthält eine Rekonstruktion der Infrastruktur, die die Gruppe namens Respublika während eines Forschungsexperiments errichtet hat. Es ist nicht klar, ob die Teilnehmer:innen, die das Geschehen verfolgen reine Beobachter:innen bleiben oder auch Teil des durchgeführten Experiments sind.“ Eine Frauenstimme verbreitet die Anweisungen über Lautsprecher, als wir die Halle betreten. Teil eines Experiments zu sein, Teil von Respublika – die Vorstellung ist spannend und legt sich wie ein Schleier über die den Raum inspizierenden Besucher:innen.

 

Theater der Utopie – Utopie des Theaters?

Doch worum geht es genau in diesem sogenannten Experiment? 2020 hat sich ein Kollektiv aus Künstler:innen um Twarkowski auf einen Versuch eingelassen: Für eine geraume Zeit (laut Inszenierung ein Jahr) zogen sie in die litauischen Wälder, um sich zu besinnen: auf sich, ihre Beziehungen, schließlich auf das Außen. Es war der Versuch, ein utopisch-kollektives Leben zu konzipieren, eine Wirklichkeit zu erschaffen, die Gerechtigkeit generiert und globale Missstände hinterfragt – dem Namen nach öffentliche Angelegenheiten.

 

 

Was wir sehen, wenn wir die Halle durchstreifen: eine Rekonstruktion dieser Geschichte, zu Kunst gewordene Erinnerung, dramatisierte Utopie. In kleinen Holzhütten sehen wir die Welt des Kollektivs – hier eine Sauna, dort eine unaufgeräumte Küche, links das Schlafzimmer, rechts das Wohnzimmer (Fabien Lédé). Die Darstellenden lungern auf dem Bett herum, gießen sich einen Drink ein, tanzen in einer Miniaturdisko vor dem DJ-Pult. Erst als das Abendlicht langsam die Halle mit konspirativem Dunst erfüllt, beginnt das Spiel, das sich aus unterschiedlichen Szenen an den verschiedenen Orten und bisweilen simultan zusammensetzt. Übertragen werden die einzelnen Szenen auf große Leinwände in der Mitte der Halle. Uns Zuschauer:innen ist überlassen, ob wir die Räume betreten und den Performenden nah sein wollen oder den Film mit Untertiteln sehen wie im Kino. Dabei drehen sich die Dialoge immer wieder um das Zusammenleben, um Gemeinschaft, Beziehungen, Sex. Darum, wer als letztes das Licht angelassen hat.  Dass 7 % der Reichsten 80 % der Treibhausgase verantworten. Doch trotz diesen unmittelbaren Dialogen möchte sich keine wirklich intime Stimmung einstellen. Zu konturlos bleiben die Figuren, zu unnahbar – und das, obwohl die Leistung der Schauspielenden durch ihre Unaufgeregtheit und Natürlichkeit positiv heraussticht. Vielleicht liegt es auch an der fremden Sprache (Litauisch) und der ständigen Präsenz vieler Techniker:innen.

 

Knallende Bässe und kathartische Beats

Durchdrungen wird das Spiel immer wieder von ansteigender Musik, die zum dröhnenden Techno-Rave wird. In großen Buchstaben prangert das Wort „Break“ auf der Leinwand. Zeit auszubrechen und loszulassen. Am Anfang noch zaghaft, später an das Ritual gewöhnt, versammeln sich die Menschen auf dem Dancefloor und lassen sich gehen. Die Tanz-Sequenzen sind befreiender Bestandteil des Projekts. Auch in den litauischen Wäldern wurde zu Technobeats getanzt, im Zwiespalt von Bewusstsein und Wirklichkeit, Loslassen und Verdrängen.

 


Draußen sitzt ein Ehepaar über 60 an der Bar, er zigarrerauchend, weißes volles Haar, das gebügelte Hemd in die Hose gesteckt. Sie seien wegen der Musik hier, erklärt er. Das ganze Theater interessiere ihn nicht so; seine Lebensphilosophie habe er schon gefunden. Aber in seinem Alter sei es schwierig, auf Raves zu kommen und „Respublika“ eine einmalige Gelegenheit. Verständlich, denn der Rave hat seine eigene Dynamik und wirkt bei „Respublika“ sicherlich deshalb so intim, weil er das verbindende Glied ist und über den gemeinsamen Rhythmus plötzlich alle Teil des Projektes werden.
Auf anderer Ebene bleibt diese Verbundenheit jedoch aus. Obwohl die Zuschauer:innen im Vorfeld zur Interaktion aufgefordert wurden, gibt es kaum Raum dafür. Als ich einer Darstellerin nach ihrem hitzigen Streitgespräch folge, verschwindet sie im Off. Schade, denn mich hätte mehr interessiert, was die Figur jetzt tun würde: sich abduschen? In die Sauna gehen? Aus diesem Potenzial hätte die Produktion noch mehr schöpfen können. Versöhnend vollzieht sich schließlich jedoch die Interaktion in der Party: Als Amish gekleidet legen die Darstellenden nacheinander Musik auf. Über eine Stunde lang ravet die Masse zu unterschiedlichen Sets während auf der Leinwand Texte über Hungersnot und Klimakrise ablaufen. Eine surreale Situation der eigenartig festlichen Ohnmacht.


Was am Ende neben dem Tanzschweiß auf der Haut bleibt, sind nebulöse Erinnerungen an einen außergewöhnlichen Theaterabend in einer illusionären Zwischenwelt.

 


Ruhrtriennale 2022

"Respublika" ist eine Performance im Rahmen der Ruhrtriennale 2022 unter der Regie von Łukasz Twarkowski.

Mehr Informationen zur Ruhrtriennale 2022 gibt es hier.


Der Beitrag „Party like the Amish“ ist von unserer RuhrBühnen-Bloggerin Simone Saftig verfasst worden. 

Mehr über den Blog, das Projekt und unsere RuhrBühnen-Blogger:innen gibt es hier.

 

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