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Ein Beitrag von Karoline Klotsch

„Reportagen Live bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen“ oder „Philosophieren im Park mit Benjamin von Brackel“

Das schweizer Magazin Reportagen ist mit einem Live Format bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen vertreten. Journalist:innen lesen ihre Reportagen vor und beantworten in einer Gesprächsrunde Fragen zu ihren Recherchen. Ich war am Donnerstag dabei, als Benjamin von Brackel im Gespräch mit Dmitrij Gawrisch von Perus Vögeln und dem Klimawandel erzählt. Der Abend verlief anders als erwartet, aber besser als erhofft.

Ich sitze mit Dmitrij Gawrisch und Benjamin  von Brackel vor dem Ruhrfestspielhaus in  Recklinghausen. Außer uns sind wenig Leute unterwegs. Das hatte ich mir anders vorgestellt: Ich dachte, zum Auftakt der Vortragsreihe Reportagen Live bei den Ruhrfestspielen kommen eine Menge Leute und überall herrscht eine trubelige Atmosphäre. Ich dachte, Gawrisch vorab im Veranstaltungssaal treffen zu dürfen sei etwas sehr Aufregendes. Stattdessen plaudern wir draußen im Park wie ganz normale Menschen miteinander und die beiden Journalisten geben mir das Gefühl, herzlich willkommen zu sein. Wir duzen uns. Kein Grund zur Nervosität. 

„18 Uhr an einem Donnerstag ist einfach eine undankbare Zeit, weil manche noch arbeiten“, sagt Gawrisch. Er ist Redakteur der Reportagen-Zeitschrift und moderiert den heutigen Abend. Die Reportagen sind ein schweizer Magazin für – wer hätte es gedacht – Reportagen. Seit Oktober 2011 erscheinen jährlich sechs Ausgaben mit journalistischen Beiträgen aus aller Welt: „Weltgeschehen im Kleinformat“ sozusagen. Dabei ist es nicht wichtig, dass die Beiträge tagesaktuell sind, sondern eher, dass die Geschichten ausführlich von außergewöhnlichen Orten, Menschen und Ereignissen berichten. Seit eineinhalb Jahren bin ich selbst Reportagen Abonnentin und freue mich wie ein kleines Kind an Weihnachten, wenn eine neue  Magazinausgabe in meinem Briefkasten auf mich wartet. Dann werden die Reportagen für ein paar Tage zu meinem ständigen Begleiter in Bus und Bahn und ich verschlinge eine Geschichte nach der anderen. Seither wünsche ich mir die Gelegenheit, mal ein Live-Format der Reportagen zu besuchen, bei dem ein:e Autor:in zu Gast ist, ihre/seine Geschichte vorliest und anschließend in einer Gesprächsrunde Fragen dazu beantwortet.

Heute ist dieser Gast Benjamin von Brackel, der von dem Verstummen der Vögel Perus berichtet. Er sitzt mir mit seinem Reisegepäck gegenüber, weil er noch keine Zeit hatte, ins Hotel einzuchecken. Von Brackel ist Umweltjournalist und schreibt unter anderem für Die Zeit und die Süddeutsche. Außerdem ist er Mitbegründer der Website klimareporter.de, auf der Beiträge zu Klimawandel und Umweltpolitik zu finden sind. Er sei zufällig in die Sparte des Umweltjournalismus gerutscht: Als er eigentlich einen Beitrag über das Einfrieren von Menschen schreiben wollte, sagte ihm seine Redakteurin, er solle lieber über die Erderwärmung berichten. 

Ruhrfestspiele, Reportagen, Politik 

Für seinen heutigen Beitrag hat er die Aufnahme einer Vogelstimme mitgebracht und um zu überprüfen, ob diese im Veranstaltungsraum abgespielt werden kann, gehen wir gemeinsam mit Monika Gies-Hasmann, der Dramaturgin der Ruhrfestspiele, hinein. Unterwegs erzählt sie mir, wie die Reportagen bei den Ruhrfestspielen gelandet sind: „Ich habe im Schauspielhaus Bochum gearbeitet, wo die Reportagen ab und zu aufgetreten sind und als es dort zu Ende ging, habe ich das Format mit hierher genommen.“ Später erklärt sie mir auch, warum die Reportagen so gut zu den Ruhrfestspielen passen: „Die Ruhrfestspiele setzen sich schon immer mit politischen Fragen auseinander. Da liegen die Reportagen als Gast natürlich nahe.“

Im Saal ist die Bestuhlung spärlich, denn es werden nur wenig Gäste erwartet. Zwei Damen sitzen bereits auf ihren Stühlen, ansonsten ist nur der Tontechniker an seinem Tisch anwesend. Während die anderen einen Mikrofontest durchführen, setze ich mich in die erste Reihe und warte. 

Tröpfchenweise kommen noch weitere Gäste – mir wird klar, dass ich den Altersdurchschnitt mit meinen vierundzwanzig Jahren drastisch senke. Als es 18 Uhr wird und man so langsam mit der  Veranstaltung beginnen könnte, sitzen neun Leute im Publikum. Gies-Hasmann tritt nach vorn, begrüßt alle und schlägt vor, die Veranstaltung nach draußen in den Park zu verlegen, weil wir in so einer kleinen Runde sind. Draußen könnte man auch die Masken abnehmen. Wir entscheiden uns dafür und die gesamte Gesellschaft macht sich wieder auf den Weg nach draußen. Wie Gawrisch es findet, dass wir in so kleiner Runde sind? „Je größer das Publikum, desto strukturierter muss die Veranstaltung sein. Meine Lieblingsveranstaltung war mal eine, bei der wir auch nur in ganz kleiner Runde zusammensaßen.“

Vogelgezwitscher im Park und in Peru

Draußen laufen wir über den Rasen zu einem kleinen Bauwagen, wie auch Peter Lustig ihn hatte, und es werden ein paar rote Bänke hervorgezaubert. So sitzen wir also in einem Kreis unter freiem Himmel und die Vögel zwitschern über uns – wie passend. Weil sich noch jemand hinzugesellt hat, besteht unsere Runde nun aus insgesamt dreizehn Personen und die Atmosphäre ist freundschaftlich. Im Hintergrund spielen ein paar Jungs Frisbee und Dmitrij Gawrisch beginnt das Programm mit ein paar Fragen an Benjamin von Brackel zu seiner journalistischen Karriere. Dann spielt von Brackel auf seinem Handy eine Vogelstimme ab und beginnt vorzulesen. „Perus Vögel verstummen“ begleitet den jungen Biologie-Studenten Alex Wiebe mit Hang zur Ornithologie auf einen Berg in Peru. Dort erforscht er den Lebensraum verschiedenster Vogelarten, in Hinblick auf dessen Verschiebung in immer höhere Gefilde. Aufgrund des Klimawandels und des Temperaturanstiegs flüchten die Tiere sowie die Vegetation in größere Höhenmeter, um der Wärme zu entgehen – dabei handelt es sich hier um minimalste Temperaturunterschiede von gerade einmal 0,42°C. Sind sie ganz oben angekommen, sterben die Vögel aus. Der Ameisenpitta zum Beispiel, dessen Stimme uns aus von Brackels Handy zuzwitschert, lebte 1985 auf 700 bis 800 Höhenmetern, 2017 170 bis 190 Meter höher und 2019, als Alex Wiebe sich durch das Unterholz schlägt, nochmal circa 200 Meter höher. An diesen Entwicklungen kann man ablesen, wie schnell sich unser Klima verändert. Die Vögel in Peru sind ein Modell, das auf den gesamten Planeten übertragbar ist. Überall flüchten Tiere in kühlere Regionen. Darüber hat von Brackel, inspiriert von Perus Vögeln, ebenfalls ein Buch mit dem Titel „Die Natur auf der Flucht“ geschrieben. 

Die Hoffnung nicht verlieren

Während er seine Reportage vorliest, pausiert er immer wieder kurz, um zu kommentieren: „Allerdings empfiehlt er uns, vorher mit Stöcken den Grund nach Stachelrochen abzutasten und beim Baden auf Kaimane zu achten.“ Er pausiert, blickt in die Runde und sagt: „Ein Grund warum ich mich fast nie gewaschen habe.“ Dafür erntet er einige Lacher. Als die Lesung beendet ist, gibt Dmitrij Gawrisch den Ring frei, um Fragen zu stellen. Es wird viel darüber nachgedacht, was man tun kann, um den Klimawandel aufzuhalten. Dabei, so von Brackel, würde eine Rückentwicklung oder ein Aufhalten der Erderwärmung ebenfalls Chaos in der Tierwelt stiften, denn diese haben sich bereits an die Temperaturanstiege gewöhnt und gehen auf ihre Weise damit um. Trotzdem ist ein Konsens in der Runde, dass es darum geht, weniger zu fliegen, weniger Fleisch zu konsumieren und öfter Fahrrad zu fahren. „Wenn jeder ein bisschen was macht, ist das doch schon eine ganze Menge“, resümiert eine Dame aus dem Publikum. Nur wie trägt man dieses Thema an die Leute heran? „Überzeugt sind die Meisten, aber machen tut’s Keiner“, ist von Brackels Antwort. Er schließt die Runde mit den Worten: „Ich hoffe ich habe euch nicht deprimiert. Verliert die Hoffnung nicht! Ich selbst habe sie auch noch nicht verloren, sonst hätte ich keine Tochter.“

Als sich alle verabschieden ist mein Fangirl-Moment gekommen: Ich lasse mir meine Reportagen Ausgabe von Dmitrij Gawrisch und Benjamin von Brackel signieren und wir machen zu dritt ein Foto. Wir plaudern noch ein wenig auf dem Weg zurück zum Haupteingang, dann verabschieden wir uns. 
 

Wir sehen uns bei den Reportagen Live! 

Ich war selten bei einem Abend, von dem ich so ganz anderes erwartet habe, der aber durch seine Lockerheit und familiäre Atmosphäre einfach großartig war. So spontan zu sein und draußen in einer kleinen Runde auf Augenhöhe miteinander zu reden, war so viel schöner, als in einem vollen Saal und mit Distanz zu den Journalisten auf der Bühne zuhören zu müssen. Die Reportagen sind noch drei Mal bei den Ruhrfestspielen zu sehen, zweimal online und einmal live, und wenn die Abende so werden wie der Vergangene, dann können sich alle auf ein besonderes Erlebnis freuen. Die Themen könnten unterschiedlicher nicht sein, was den Reiz der Reportagen ausmacht: Jonathan Freedland berichtet von Fake News, Eva Sudholt von zwei über-70-jährigen Männern in Sicherheitsverwahrung und Andreas Wenderoth erzählt die Geschichte von Peter Groß, in dessen Gehirn sich multiple Persönlichkeiten eingenistet haben. Ich freue mich auf den nächsten Donnerstag.


Ruhrfestspiele Recklinghausen

Der Artikel „'Reportagen Live bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen' oder 'Philosophieren im Park mit Benjamin von Brackel'“ wurde von unserer RuhrBühnen-Bloggerin Karoline Klotsch verfasst. 

Weitere Artikel, mehr zum Blog und unseren RuhrBühnen-Blogger*innen gibt es hier.

 

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