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Ein Beitrag von Maren Behrendt

Roman von Hervé Guibert auf Bochumer Bühne


Ein autobiografisch geprägter Roman von Hervé Guibert, ein talentierter Regisseur, wahnsinnig gute Schauspieler:innen und das Schauspielhaus Bochum – in Summe ergibt das ein beeindruckendes Theatererlebnis. Ein solches hatte ich, als ich die Premiere von  „Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat“ nach dem gleichnamigen Roman von Hervé Guibert in den Kammerspielen des Schauspielhauses Bochum besuchte.

 

Ein bedeutungsschwerer Roman …


Der französische Schriftsteller und Fotograf Hervé Guibert hinterlässt uns mit seinem Roman „Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat“ ein Werk aus der Zeit, in der die Aids-Pandemie ihre Anfänge nahm. Allein mit der Interpretation des Romans ließen sich Seiten füllen. Das als Grundlage für eine Inszenierung, die Regisseur Florian Fischer mit viel Liebe zum Detail auf die Bühne bringt, macht es zu einer wahren Herausforderung, den Abend Revue passieren zu lassen.

 

… auf der Bühne: Von Intimität zu Melancholie


Den Platz im Theatersaal eingenommen und den Blick auf die Bühne gerichtet, ist zunächst nicht viel zu sehen: ein weiß leuchtender Bildschirm, der von der Decke hängt, und einzelne Möbelstücke, die an ein Labor erinnern. Dann geht es los. Es wird dunkel. Die Bühne wird von Nebel bedeckt. Zart ertönt eine allmählich lauter werdende Melodie, die uns noch im Verlauf des ganzen Stückes begleiten will.
Langsam ist etwas zu erkennen: Ein Mann, der sich selbst im Spiegel betrachtet, sich berührt und tanzt. Es kommt ein weiterer hinzu. Eng umschlungen tanzen die beiden. Die erste Weile fühlt es sich an, als durchlebe man gemeinsam mit den Verliebten deren intimsten Momente. Neben den in der Beschreibung angekündigten „Szenen mit expliziter Nacktheit“ trugen dazu auch die vielen mit der Kamera eingefangenen und auf den Bildschirm projizierten Momentaufnahmen bei, wie sie vermutlich jede:r als Erinnerungsstücke an eine große Liebe zu haben pflegt. Es knallen die Korken, es wird getanzt, geliebt, gewitzelt.


 Zu Beginn des Stücks ist die Stimmung der verliebten Männer, gespielt von William Cooper und Risto Kübar (v. li.), sehr ausgelassen. 

Im weiteren Verlauf des Stücks entwickelt sich eine Art Abhängigkeit zwischen den beiden Männern. Einzelne Puzzleteile fügen sich zusammen – die Krankheit nimmt Raum ein. Die vielen Phasen der Stille, die von Risto Kübar so sanft in die Stimme des Hervé gelegte Melancholie und die bedrückte Stimmung im gesamten Saal machen das mehr als deutlich. In der markanten Schlussszene fährt eine Leinwand mit einer riesigen Fotografie von Hervé Guibert – dem „echten“ wohlbemerkt – aus dem Boden. Vor ihr findet der Protagonist des Abends die letzten Worte, die – so sah es aus – noch in ihm persönlich nachhallten, als der Applaus das Ensemble mehrmals auf die Bühne lockte.

 

In der letzten Szene blickt Risto Kübar in seiner Rolle auf die Geschichte des Hervé zurück – hinter sich eine überdimensionale Fotografie dessen. 

 

Raffinierte Inszenierung eines Klassikers


Man muss keine professionellen Theaterkritiken geschrieben haben, um zu erkennen, dass die Inszenierung besonders ist. Allein die Art und Weise, auf die der Bildschirm in das Bühnenbild integriert ist und an verschiedenen Positionen immer anderen Einsatzzwecken dient, ist spannend. Mal werden darauf Textpassagen eingeblendet, mal bietet er Zitate von Politiker:innen oder nimmt gar Bezug auf die Corona-Pandemie. Wofür er aber wohl am häufigsten eingesetzt wird, ist die Übertragung der Kameraaufnahmen, die der Protagonist auf der Bühne in Echtzeit macht.
Ganz besonders interessant ist das, wenn die Protagonisten selbst Stellwände mit einzelnen Teilen einer Fotografie auf die Bühne ziehen, ausrichten, sich selbst davor positionieren und dadurch ein neues Fotomotiv erschaffen – welches die Zuschauer:innen über den Bildschirm zu sehen bekommen. Ob professionelle:r Theaterkritiker:in oder nicht – diese Inszenierung auf sich wirken zu lassen, ist in jedem Fall empfehlenswert.

 


Für kurze Zeit nehmen große, auf Stellwände gedruckte Fotografien ihren Platz auf der Bühne ein, um mit dem Protagonisten zu einem Fotomotiv zu verschmelzen. 

 

Inhaltlicher Tiefgang – auch nach dem Theaterbesuch


Erzählt wird in „Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat“ so vieles: Mit der Tatsache, dass ein Mensch ein tödliches Virus in sich weiß und im Spannungsfeld von Liebe, Freundschaft, Macht, Hoffnung und Verzweiflung damit umzugehen versucht, ist es noch lange nicht genug. Bezug genommen wird darüber hinaus auf Zeiten, in denen Erkrankte sich offiziell nicht zu HIV bekennen konnten, wenn sie nicht in Verruf geraten wollten. Auf fehlende wissenschaftliche Erkenntnisse und damit auch das fehlende Wissen des Erkrankten, der sich nach einem innigen Kuss den Mund spült, um die Viren zu töten. Und nicht zuletzt schafft es Regisseur Florian Fischer dann auch noch, die Thematiken auf die Corona-Pandemie zu beziehen.

 

Anspruchsvoll und zugleich für alle gemacht


Obwohl das Bühnenbild zunächst recht minimalistisch wirkte und man vielleicht meinte, ein auf die Bühne gebrachter Roman sei vorhersehbar, ist der eigene Gedankenfluss nach dem Theaterbesuch nicht zu unterschätzen. Wer den gleichnamigen Roman kennt und schätzt, dürfte durch die raffinierte Inszenierung bedient werden. Wer den Roman bis dato nicht kannte, wird die Geschichte des Hervé Guibert in circa zwei Stunden kennenlernen, ohne eine einzige Seite seines Werkes zu lesen. Wer die Anfänge der Aids-Pandemie und vor allem die Gefühlswelten der Menschen, die sie erlebten, bisher nicht hätte umschreiben können – auch der wird mit dem Theaterbesuch reicher und zudem vielleicht die ein oder andere Parallele zu heute entdecken.
 


Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat

Theater Bochum

nach dem Roman von Hervé Guibert, Regie und Inszenierung Florian Fischer

Informationen, Termine und Tickets gibt es hier.


Der Artikel "Roman von Hervé Guibert auf Bochumer Bühne" wurde von unserer RuhrBühnen-Bloggerin Maren Behrendt verfasst. 

Weitere Artikel, mehr zum Blog, dem Projekt und unseren RuhrBühnen-Blogger:innen gibt es hier.

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