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Hedwig and The Angry Inch – Die ewige Suche nach dem eigenen Ich

Tragisch, schrill und rockig – das eher ungewöhnliche Musical „Hedwig and The Angry Inch“ im Musiktheater im Revier Gelsenkirchen begeistert in einer gelungenen Inszenierung vor allem mit lauter, teils punkiger Rockmusik und einem glänzenden Hauptdarsteller, der „seine Hedwig“ facettenreich und absolut glaubwürdig auf die Bühne bringt.

Am 13. Februar 2022 durften wir uns Carsten Kirchmeiers Inszenierung von „Hedwig and The Angry Inch“ anschauen und eben diesen anschließend noch zu einem Gespräch treffen. Bei dem Stück handelt es sich um ein Off-Broadway-Rock-Musical von Stephen Trask und John Cameron Mitchell. Übrigens ist es auch schön die anderen RuhrBühnen-Blogger*innen mal persönlich kennenzulernen, ein Stück gemeinsam zu besuchen und sich auszutauschen. Eines vorweg: Begeistern konnte das Stück uns beide gleichermaßen.   

Foto: Carsten Kirchmeier nahm sich so viel Zeit, dass wir das Theater anschließend nur noch über den Bühnenausgang verlassen konnten.

Die Handlung

Im Rahmen eines Low-Budget-Konzertes in Gelsenkirchen, dort sei man schließlich Kummer gewohnt, erzählt Hedwig ihre bewegende Lebensgeschichte: Als Hansel wird sie zunächst in der DDR geboren. Der Vater, ein US-Soldat, macht sich früh aus dem Staub und so wächst Hansel allein mit seiner Mutter in Ost-Berlin auf. Er teilt sich das Bett mit seiner Mutter und kann seiner Leidenschaft für amerikanische Musik nur im Ofen nachgehen. Zu einem Wendepunkt in seinem Leben kommt es, als seine Mutter ihm eines Abends im Bett Platons Mythos von den Kugelmenschen erzählt.

Fortan befindet sich Hansel auf der Suche nach seiner anderen Hälfte. Als er schließlich auf den wesentlich älteren Sugar Daddy Luther trifft, glaubt er seine andere Hälfte gefunden zu haben. Doch um mit ihm in die USA ausreisen zu können, muss Hansel noch in der DDR heiraten – und das geht nur als Frau. Von der Hoffnung auf Komplettierung, seiner Mutter und Luther getrieben, lässt Hansel sich operieren und übernimmt die Identität seiner Mutter Hedwig. Doch die OP wird verpfuscht und Hedwig behält eben jenen titelgebenden „angry inch“ zurück. In den USA zerbricht die Liebe zu Luther bereits vor dem ersten Hochzeitstag. Hedwig lebt im Wohnwagen und muss sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Im Rahmen eines solchen Jobs lernt Hedwig ihre zweite Liebe Tommy kennen: diesmal einen Teenager, der durch ihre Songs zum gefeierten Rockstar aufsteigt. Doch gerade als Hedwig erneut glaubt, ihr Gegenstück gefunden zu haben, verlässt auch er sie und verletzt sie dabei zutiefst. Und so kommt es eben dazu, dass sie Jahre später mit ihrer Band „The Angry Inch“ und ihrem Ehemann Yitzhak für ein Konzert in Gelsenkirchen Halt macht. 

Zwischen Rocksongs und Balladen

Hier bin ich richtig – dieser Gedanke schießt uns beiden direkt beim Eröffnungssong durch den Kopf. Ein Hauch von Skepsis hatte uns nämlich ins Theater begleitet. Ob ein Rockmusical mit einer vierköpfigen Band und zwei Darstellern gelingen kann?

Die Antwort ist eindeutig: Das in Alex Melchers (Hedwig) Hand liegende musikalische Konzept geht voll und ganz auf. Band und Darsteller*innen gelingt es wunderbar das Publikum mit lauten und wilden Rocksongs mitzureißen und es gleichfalls in gefühlvollen Balladen mitempfinden und mitleiden zu lassen. Ebenso begeistert auch Nina Janke (Yitzhak) mit einer eindrucksvollen und sehr wandelbaren Rockstimme. Auch wenn es nicht gerade wenige Songs waren, wir hätten gern noch mehr gehabt. Die Songs sind übrigens weitgehend im englischen Original belassen.

Ein wenig überraschend ist indes wie viel Sprechtext Hedwig in dem Stück hat, teils als Ansprache ans Publikum, teils als Dialog in dem sie beide Parts vertritt. Dies kommt zwar in der Menge etwas unerwartet, ist aber gut zu verfolgen und für das Verständnis der Figur Hedwig unerlässlich. 
Das Bühnenbild im kleinen Haus ist dem dargestellten Low-Budget-Konzert entsprechend karg gehalten und liefert somit einen wunderbar passenden Rahmen. Durch die Wahl des kleinen Hauses gelingt es auch den maximal sechs Personen (einschließlich der vierköpfigen Band), die Bühne gänzlich einzunehmen: „Das ist so ein Stück, das einen intimen Rahmen braucht. Ein bisschen zurück zu diesem Off-Broadway, was es war.“ (Carsten Kirchmeier).  Und während die Outfits der Band und Yitzhaks rockermäßig grob, schwarz und nietenbesetzt sind, sind Hedwigs Kostüme umso schriller und fallen gerade im Ruhrgebiet eher in die Kategorie „Fummel“.


Gitarre spielen ist in manchen Kostümen eine echte Herausforderung  

Hedwig – „Ich lache, um nicht zu weinen“

Ein so ungewöhnliches Stück mit einer so minimalistischen Besetzung kann wohl nur mit einer besonders spannenden Hauptfigur von einem überzeugenden Darsteller gespielt funktionieren. Die Gelsenkirchener Hedwig hat beides: ein bewegtes und bewegendes Leben — und sie hat Alex Melcher. 

Egal wie man es dreht und wendet, Alex Melcher hinterlässt einfach unheimlich Eindruck und zwar in jeder Situation. „Alex wollte die Rolle“ (Carsten Kirchmeier) und er lässt auch keinen Zweifel daran, warum. Mehr als anderthalb Stunden im nonstop Dauereinsatz nimmt er das Publikum mit auf Hedwigs emotionale Achterbahnfahrt: Nach außen hin eigentlich schrill und oft in obszön-anzüglicher Interaktion mit dem Publikum, blitzen auch immer wieder melancholische und verletzliche Momente durch, während sie wiederum im nächsten Moment einen verletzend-aggressiven Umgang mit Ehemann Yitzhak an den Tag legt. Dabei zeigt Melcher sich gesanglich ebenso vielfältig wie schauspielerisch: Rockt er gerade noch wild umherspringend lautstark die Bühne, kann er bereits im nächsten Moment mit sanften, beinahe zarten Tönen eine Ballade anstimmen. Eben auf ganzer Linie beeindruckend.

In Carsten Kirchmeiers Inszenierung erweckt Alex Melcher seine Hedwig als eine eigentlich tragische Figur zum Leben, die eines ganz sicher nicht ist: glücklich. Von ihrer Mutter und ihrem ersten Ehemann manipuliert und im Stich gelassen, von ihrer großen Liebe Tommy gedemüdigt und verletzt, verliert sie ihre eigene Persönlichkeit immer mehr aus dem Fokus und ist plötzlich jemand, der sie gar nicht ist („and then you’re someone you’re not“ aus dem Song „Wicked Little Town“). Ihre wahren Gefühle versteckt Hedwig hinter einer Fassade voller Obszönitäten, aufgesetzter Fröhlichkeit und einem schrillen Aussehen. „Ich lache, um nicht zu weinen“, offenbart sie dem Publikum. Wer möchte schließlich aller Welt die verletzliche Seite zeigen? Als Hedwig sich schlussendlich in einem Akt der Verzweiflung die Maskerade herunterreißt, kommt dies einem persönlichen Mauerfall gleich: Endlich findet Hedwig ein Stück weit zu sich selbst.  

Die Beziehung zwischen Yitzhak und Hedwig

Interessant ist auch die Beziehung zwischen Hedwig und ihrem Ehemann Yitzhak. Es wirkt, als übe Hedwig nun ihrerseits die Macht und Erniedrigung, die sie selbst erleben musste, auf Yitzhak aus. In dieser Beziehung will Hedwig das Zepter keinesfalls aus der Hand geben und so lässt sie an der Hierarchie in ihrer Beziehung keine Zweifel aufkommen. 

Hedwig lässt sich von Ehemann Yitzhak nicht in den Schatten stellen.

Während Yitzhak als „Mädchen für alles“ hinter Hedwig herräumt und ihr wiederholt als Fußabtreter dient, zeigt Hedwig sich oftmals aggressiv. Schließlich ist sie der eindeutige Star. Um daran auch keine Zweifel aufkommen zu lassen, wandelt sie jegliche Anerkennung für Yitzhak in Abwertung um und verbietet ihm, die eigene Persönlichkeit auszuleben. Doch Yitzhak nimmt Hedwigs Verhalten nicht kampflos hin und zeigt sich nicht minder aggressiv. Und so kommt es, dass keiner der Beiden sein wahres Leben lebt. Stattdessen geben Beide ihr Bestes den jeweils anderen empfindlich zu verletzen, um die eigene Verbitterung ein Stück weit zu betäuben. Doch könnten die beiden überhaupt ohne einander?

Carsten Kirchmeier hat hierzu eine klare Meinung: „Was ist das für eine Beziehung? Das ist keine gesunde Beziehung, aber ich glaube die beiden brauchen sich. Das ist eine Beziehung, die man als Außenstehender vielleicht nicht unbedingt nachvollziehen kann. Es ist eine Beziehung, die sich gegenseitig ergänzt. Und ich glaube, dass da eine Liebe ist. In irgendeiner Art und Weise auch eine Liebe von Hedwig zu Yitzhak, auch wenn es nicht DIE große Liebe ist.“

Und nachdem Hedwig ihre Maskerade zum Schluss abnimmt, ist Yitzhak für sie da, um ihr liebevolle und anerkennende Worte zu schenken. Ob die beiden nun ihre persönliche „Wende“ schaffen? Wer nicht nur oberflächliche Unterhaltung, sondern auch Tiefgang gepaart mit abwechslungsreicher (Rock-)Musik und einem erstklassigen Hauptdarsteller zu schätzen weiß, ist bei Hedwig and The Angry Inch genau richtig. 


Hedwig and the Angry Inch

Rock-Musical von John Cameron Mitchell und Stephen Trask 
Musiktheater im Revier Gelsenkirchen

Weitere Informationen, Termine und Tickets gibt es hier


Der Artikel „Hedwig and The Angry Inch – Die ewige Suche nach dem eigenen Ich“ wurde von unseren RuhrBühnen-Bloggerinnen Karoline Klotsch und Steffi Evers verfasst. 

Weitere Artikel, mehr zum Blog und unseren RuhrBühnen-Blogger*innen gibt es hier.

 

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