Folgen Sie uns auf Facebook
Folgen Sie uns auf Instagram
ENZur englischen Website wechseln

LUCIA DI LAMMERMOOR – Wahnsinn als einziger Ausweg

Gaetano Donizettis LUCIA DI LAMMERMOOR ist seit November 2021 in einer Inszenierung von Dietrich W. Hilsdorf im Essener Aalto-Theater zu sehen und lässt die Herzen der Belcanto-Liebhaber höherschlagen. Nicht nur an der Premiere darf ich für den RuhrBühnen-Blog dabei sein, auch Christian Schröder, Chefdramaturg des Aalto-Theaters, nimmt sich Zeit für ein persönliches Gespräch und verrät dabei eine Menge über seine Aufgaben, die Zusammenarbeit mit den Regisseuren und die Vorbereitungen zu LUCIA DI LAMMERMOOR.

Mut zur Lücke 

Es sei übrigens kurz angemerkt, dass es sich auch für mich um eine Premiere handelt – wenn auch etwas anderer Art. Lässt das Publikum sich aufteilen in die Gruppen derer, die das Ganze auf sich zukommen lassen und überrascht werden wollen und derer, die gerne wissen worauf, sie sich einlassen und entsprechend vorbereitet sind, gehöre ich normalerweise ganz sicher in die dritte Kategorie derjenigen, die mit schlafwandlerischer Sicherheit beispielsweise die Rolle als Souffleuse einnehmen könnten. Normalerweise. Da meine Italienischkenntnisse allerdings sowieso sehr rudimentär sind, gehe ich ausnahmsweise einmal vollkommen unvoreingenommen und vor allem (fast) unvorbereitet ins Theater und denke: Lasse ich mich eben auch mal überraschen. Dem sehr informativen Einführungsvortrag durch Christian Schröder wohne ich allerdings selbstverständlich doch bei.

Der Zuschauerraum des Aalto-Theaters ist sehr modern und trotzdem stilvoll in den Farben weiß und blau gehalten. In den Rückenlehnen der Vordersitze befinden sich Lüftungsschlitze und zwischen den einzelnen Besuchergrüppchen bleibt jeweils ein Platz frei. Auch die Maske muss während der Vorstellung weiterhin getragen werden – all das trägt bedeutend zu einem sicheren Gefühl und damit einem ungetrübten Theatergenuss bei.

Der Inhalt des Stückes – un dramma tragico

Durch politische Spannungen und Glaubenskonflikte herrschen im historischen Schottland erbitterte Kämpfe und Feindschaften – so auch zwischen den Ravenwoods und Ashtons. Zwar gelingt es Lord Enrico Ashton zunächst, sich Vorteile zu verschaffen, doch letztlich steht auch er auf der politischen Abschussliste. Um die eigene Haut zu retten, beschließt er in seiner Not seine Schwester Lucia mit dem einflussreichen Lord Arturo Buklaw zu verheiraten. Lucia, die noch um die jüngst verstorbene Mutter trauert, liebt jedoch Enricos Widersacher Edgardo, den letzten Überlebenden der Ravenwoods und verweigert die arrangierte Hochzeit zunächst. Letztendlich kann sie sich dem manipulativen Zureden ihrer Brüder und deren Machtstellung jedoch nicht erwehren und gibt nach. Als Edgardo von der Hochzeit erfährt, wirft er Lucia Verrat an ihrer Liebe und ihrem Treueschwur vor. Lucia kann der Situation emotional nicht mehr standhalten und erliegt dem Wahnsinn. Doch das Unglück der einen ist gleichbedeutend mit dem Unglück der anderen und kostet gleich mehrere Menschen das Leben. Ob die Befreiung vom Unglück dieser Welt wohl, wie von Lucia und Edgardo erhofft, das Glück in einer anderen Welt nach sich zieht? 
 

Edgardo (Carlos Cardoso) und Lucia (Hila Fahima) schwören sich die ewige Liebe

Dietrich W. Hilsdorf zum 21.

Wenn die Inszenierung gefällt, dann darf auch der Regisseur gern für eine weitere Arbeit an das Theater zurückkehren. Dietrich W. Hilsdorfs Inszenierungen finden in Essen eindeutig sehr großen Anklang. Bereits zum 21. Mal übernimmt Hilsdorf die Regiearbeit im Aalto-Theater, wie Christian Schröder im Gespräch verrät. Für Schröder selbst ist es die zweite Zusammenarbeit mit dem Essener Urgestein. Besondere Aufmerksamkeit schenkt Hilsdorf unter anderem dem historischen Kontext zu seinen Inszenierungen. Hier ist viel Recherchearbeit gefragt. Anzumerken ist auch, dass es sich bei LUCIA DI LAMMERMOOR um eine Übernahme von Hilsdorfs Inszenierung an der Semperoper in Dresden handelt. Übernahme bedeutet in diesem Fall jedoch keineswegs, dass das Stück eins zu eins gänzlich unverändert auf der Essener Bühne landet. So wird das Stück in Essen in Anspielung auf Shakespeares Macbeth beispielsweise mit den unheilvollen Prophezeiungen drei alter Frauen eröffnet. 

Rekordverdächtig: Dietrich W. Hilsdorf feiert bereits seine 21. Essener Premiere

Das Herzstück: die Glasharmonika

Zwar hatte Donizetti in seiner ursprünglichen Fassung die Begleitung der Wahnsinnsszene mit der Glasharmonika vorgesehen, musste diese jedoch aufgrund der schwierigen Begleitumstände der Uraufführung, vor allem der prekären finanziellen Lage des Teatro San Carlo, ersetzen. In Essen darf sich das Publikum allerdings auf die Ursprungsfassung mit der so selten zum Einsatz kommenden Glasharmonika, bei der Premiere gespielt von Philipp Marguerre, freuen. Die Wahnsinnsszene wird so zu einem noch größeren Highlight des Stückes.

Doch auch abgesehen von diesem besonderen Instrument können die Essener Philharmoniker unter Leitung von Giuseppe Finzi mit präzisem Einsatz und teils gefühlvollen, teils kräftigen Klängen überzeugen. An der ein oder anderen Stelle mögen die Klänge bei der Premiere noch ein klein wenig zu kraftvoll gewesen sein, doch diese winzige Abstimmungsschwierigkeit ist in den nächsten Vorstellungen sicher bereits behoben.

Schwarz, Weiß und Rot: Nur der Wahnsinn bringt Farbe ins Spiel

Das düstere, aus Dresden übernommene Bühnenbild verstärkt auf eindrucksvolle Weise die finstere Stimmung des Geschehens. Die Wände des Raumes, die bei Bedarf ohne Aufwand verschoben werden, sind in reinem schwarz gehalten. Ergänzt wird diese Kulisse durch wenige Möbel: Lucias Bett, ein Tisch mit Stühlen sowie ein Sarg und die geschmückte Hochzeitstafel im Verlauf des Stückes sind ebenfalls gänzlich in schwarz gehalten. An den schwarzen Wänden sind senkrecht weiße Leuchtröhren angebracht, die jedoch keinesfalls Wärme ausstrahlen, sondern eher gespenstisch anmuten. Raffiniert ist die Möglichkeit, einzelne Lampen je nach Anforderung der Szene auszuschalten oder zu dimmen. 

Auch die Kostüme der Solisten, ebenfalls aus Dresden übernommen, sowie des bemerkenswert vielköpfigen Opernchors und der Statisterie, sind in schwarz gehalten. Weiße Kragen oder Blumenkränze sind die einzigen Akzente innerhalb des Ensembles. Lucia hingegen tauscht ihr schwarzes Gewand im Verlauf des Stückes gegen ein weißes Hochzeitskleid, welches sie einerseits zum Blickfang auf der Bühne und andererseits auch optisch zum Sonderling der Gesellschaft werden lässt. Neben Lucia wird auch ihr Ehemann Lord Arturo Buklaw in weiß präsentiert – allerdings erst im Tod. Auch er gehört nun nicht mehr der Gesellschaft an, denn er weilt bereits in einer anderen Welt. Auf der weißen Kleidung der Beiden, sowie auf dem weißen Betttuch, bringen nun große Blutflecke die einzige Farbe auf die sonst so düster-schaurige Bühne.    
 

Der Wahnsinn hat eine Farbe: blutrot

Die Solisten und der Opernchor bringen Leben auf die Bühne

Ganz besonders wirkungsvoll gelingen in Hilsdorfs Inszenierung die opulenten Massenszenen. Durch Opernchor und Statisterie machen diese ihrer Bezeichnung alle Ehre und sind herrlich anzuschauen. Auch musikalisch kann der Opernchor mit punktgenauem Einsatz und Ausdrucksstärke überzeugen. Einzig der Jagdhund, der einige Male kurz auf der Bühne auftaucht, wirkt leicht irritierend und überflüssig.

Hilsdorf erweitert die Familie der Ashtons in seiner Inszenierung durch den Geist der verstorbenen Mutter sowie durch einen weiteren Bruder, Raimondo Ashton, der als Mann Gottes meist die Bibel mit sich trägt. Eine sehr interessante Idee, denn durch diese familiäre Erweiterung wächst auch der Druck auf Lucia, der nun von allen Seiten kommt.

Die Rolle Raimondos, verkörpert von Baurzhan Anderzhanov mit seinem wohltönend tiefen Bass, ist jedoch zwiegespalten angelegt: Einerseits bemüht seinen impulsiven Bruder zu beschwichtigen, ist es andererseits doch er, der die verzweifelte Lucia zur erzwungenen Ehe drängt.


An der Familienhierarchie gibt es keine Zweifel 

Lucias Geliebter Edgardo wird vom hauseigenen Tenor Carlos Cardoso in Szene gesetzt – eine großartige Wahl. Mal gefühlvoll, mal kraftvoll füllt er mit seiner Stimme den Theatersaal und harmoniert stimmlich einerseits wunderbar mit Lucia und kann andererseits mühelos seinem Widersacher Enrico entgegentreten. Überdies stattet er seine Rolle mit dem genau richtigen Maß an Leidenschaft aus. 

Ivan Krutikov erweckt Lord Enrico Ashton, das Familienoberhaupt, zum Leben. Glaubwürdig stellt Krutikov den Machthaber der Familie dar, der Lucia skrupellos für seine Interessen missbraucht. Dass er nicht uneingeschränkt gewissenlos ist, zeigt sich vor allem im siebten und letzten Bild des Stückes. Gesanglich weiß der Tenor in seiner Rolle ebenfalls zu gefallen.

Die Titelpartie wird in Essen von Hila Fahima übernommen. Sie verkörpert die Rolle der unsicheren, wehrlos der familiären Willkür ausgelieferten Frau ihrer Zeit. Auch vor der Wahnsinnsszene schimmert ihr labile Persönlichkeit bereits durch, unter anderem mit Geistererscheinungen. Ihre Stimmführung passt die Sopranistin gefühlvoll an die jeweilige Szene an. Neben der Wahnsinnszene im Zusammenspiel mit der Glasharmonika, weiß sie vor allem im Duett mit ihrem Geliebten Edgardo zu begeistern.


Erst durch den Wahnsinn kann Lucia den Machtstruktur der Familie entkommen

Mit LUCIA DI LAMMERMOOR vereint das Essener Aalto-Theater Höhepunkte des Belcanto, eine tragische Liebesgeschichte und ein unheilvolles düsteres Familiendrama zu einem gelungen Abend. Sehenswert für alle, die nicht vorrangig lockere Unterhaltung mit Happy-End bevorzugen.    

 


LUCIA DI LAMMERMOOR

Theater und Philharmonie EssenAalto-Theater 
Dramma tragico in zwei Teilen von Gaetano Donizetti

Mehr Informationen, Termine und Tickets gibt es hier.


Der Beitrag „LUCIA DI LAMMERMOOR – Wahnsinn als einziger Ausweg“ ist von unserer RuhrBühnen-Bloggerin Steffi Evers verfasst worden.

Mehr über den Blog, das Projekt und unsere RuhrBühnen-Blogger*innen gibt es hier.

Nach oben

Cookie-Richtlinie

Wir verwenden Cookies, um dir ein optimales Website-Erlebnis zu bieten. Durch Klicken auf „Alle Akzeptieren“ stimmst du dem zu. Unter „Ablehnen oder Einstellungen“ kannst du die Einstellungen ändern oder die Verarbeitungen ablehnen. Du kannst die Cookie-Einstellungen jederzeit im Footer erneut aufrufen. 
Datenschutzerklärung | Impressum

Cookie-Richtlinie

Wir verwenden Cookies, um dir ein optimales Website-Erlebnis zu bieten. Durch Klicken auf „Alle Akzeptieren“ stimmst du dem zu. Unter „Ablehnen oder Einstellungen“ kannst du die Einstellungen ändern oder die Verarbeitungen ablehnen. Du kannst die Cookie-Einstellungen jederzeit im Footer erneut aufrufen. 
Datenschutzerklärung | Impressum